𝖂𝖎𝖓𝖙𝖆𝖗𝖓𝖆𝖍𝖙 – “𝕬𝖓þ𝖏𝖆𝖟” – 𝕽𝖊𝖟𝖊𝖓𝖘𝖎𝖔𝖓

Der gute Herr Grimwald dürfte vielen interessierten Hörern und Genießern schwarzmetallischer Tonkunst aus hiesigen Gefilden bereits virtuell und / oder auch persönlich begegnet sein, sei es durch zahlreiche schriftliche Konversationen oder durch persönliche Gespräche im Zuge diverser Auftritte seiner Band Isgalder. Bekannt sein dürfte den Meisten auch einige seiner anderen Projekte, allem voran Dauþuz oder Idhafels. Bei Letztgenannten ist er allerdings nicht mehr an Bord. Und dann ist da noch sein Soloprojekt Wintarnaht, welches ich bis letztes Jahr noch gar nicht auf dem Schirm hatte.

Gestartet als Duo zusammen mit Schlagwerker “Goatruler” und zwischenzeitlich angewachsen zum Trio mit Bassist “ArdathBey” (nur bei Konzerten erfolgte der Auftritt als Quintett) blieb seit 2017 Grimwald als Alleinkämpfer übrig.

Nun denn, Anþjaz ist das nunmehr fünfte Album von Wintarnaht und erschien vor etwa zwei Wochen über Grimwalds eigenen Vertrieb “Archaic Oath” in Zusammenarbeit mit Schierling Klangkunst. Im Vorfeld gab es bereits mehrere Einblicke in die Entstehungsphasen, sowohl in haptischer als auch visueller Hinsicht.

Eingeführt im wörtlichen Sinne wird der geneigte Hörer mit „Infaran“, was gleichbedeutend mit „Einführung“ ist. Dieses durchweg akustische Instrumental mit gezupfter Gitarre und Tastenbegleitung lässt Erinnerungen an Gruppen wie Empyrium, das zweite Album von Ulver oder October Falls aufkommen. Man ist sofort in der richtigen Stimmung und gespannt auf das, was noch kommen wird.

Knapp zwei Minuten später startet das titelgebende Lied „Anþjaz“, welches als eine Art Mischwort aus „ano“ (Vorfahre / Ahn) und „aldjaz“ (uralt / früher) fungiert, standesgemäß mit heroischem Klargesang. Dieses Stück wurde von Grimwald kurz vor Veröffentlichung der Vollscheibe bereits als visuell gut und in Alleinregie umgesetztes Video einem allseits bekannten Portal zur Verfügung gestellt. Deutlich von Isengard beeinflusst, ist das Stück von wechselndem Tempo geprägt. Charakteristische Rufe in der Mitte des Stücks zeigen einmal mehr die Affinität von Grimwald für Fenriz‘ Schaffen in den Neunzigern auf. Die Fanfarenklänge im Hintergrund verstärken noch mehr den Hymnencharakter dieses Liedes.

Schneller geht es in „Wint zuo Storm“ (Wind zu Sturm) zu Werke. Von furios bis majestätisch schreitend ist hier für Jeden etwas dabei. Gute melodische Gitarren, ein transparenter Bass unf eine Tastenmelodie, welche in gleicher Tonlage vom Klargesang Grimwalds aufgegriffen wird. Ein hymnischer Kehrreim runden ein wirklich starkes Stück naturverbundenen Schwarzmetalls ab, an dem man sich einfach nicht satthören kann.

„Regangrâo“ (Regengrau) mit seinem dem Titel angemessenen trauernden Pianoklängen, begleitet vom Prasseln des Regens, fungiert als anderthalbminütiges Interludium und lässt kurz Zeit zum Verschnaufen und einen Schluck von Grimwalds selbstgefertigten Honiglikör („Wintarfang“ genannt) zu sich zu nehmen, bevor „Haimaerþa“ (Heimaterde) recht unvermittelt aus dem Hintergrund nach vorn prescht. Geschwind jagt das Stück durch Wald und Flur, so dass man meinen könnte, die Heimaterde würde auf Grimwalds eigenem Acker von ihm höchstpersönlich umgepflügt werden. Man möge mir diese kleine Flachserei bitte nachsehen, aber ich weiß, dass der Herr hinter Wintarnaht einen guten Sinn für Humor hat und dementsprechend sicher schmunzeln wird.

Dieses Stück ist reich an Höhepunkten, sei es der heidnischen Stolz vermittelnde Choral, bei welchem ein ums andere Mal Fenriz Pate gestanden haben könnte, oder das sich im zweiten Teil duellierende Todesgrollen mit ekstatischem Schreien, welches an „Jormundgand“, das Debütalbum der Norweger Helheim oder der deutschen Formation Drautran zu Ehren gereicht hätte. Absolut überragend.

Glücklicherweise segelt „Untar þe Germinâri Mâno“ (Unter dem Schamanenmond) in deutlich gemächlicherem Fahrwasser, um den begeisterten Hörer etwas zur Ruhe kommen zu lassen. Tiefes Grollen und ein begleitendes Piano setzen hierbei die Hauptakzente. Zwischendurch wird das Spieltempo leicht angezogen und eine markant gezupfte Basslinie, welche an „Antikrist“ vom zweiten Dimmu Borgir Album „Stormblast“ erinnert, führt das vergleichsweise getragene Stück fort.

„Ainauþja“ (Einsamkeit), unterlegt mit Klängen von Spinett und Flöte, lässt erneut innehalten und einen weiteren Schluck „Wintarfang“ trinken. Abwechslung ist auf diesem Album wirklich Trumpf.

Das „Staingrab in þe Morganbrâdam“ (Steingrab im Morgendunst) wird von Grimwald ziemlich schnell behauen, so dass von Selbigem tiefe Kerben, im übertragenen Sinne, zurück bleiben. Schnell und abwechslungsreich geht es auch hier zu Werke. Dieses Lied mit seinem kreischigen Vokalstil, seinen hymnischen Akkordfolgen und seinem schnellen, an die Amerikaner Absu erinnernden Abschnitt, vereint noch einmal alle Stärken eines durchweg begeisternden, knapp fünfzigminütigen Albums.

Mit „Ûzfaran“ (Auffahrt) wird „Anþjaz“ getragen und würdevoll zu Ende gebracht. Angefangen mit akustischer Gitarre, gefolgt von abermaligem Prasseln des Regens, sind im Anschluss eine schamanische Stimme und rituell anmutende Trommeln zu vernehmen. Der „Wintarfang“ ist nunmehr endgültig geleert, so dass ich schlussendlich ein Resümee ziehen kann.

Das fünfte Album von Wintarnaht ist tief im Schamanismus und dessen tiefer Verbundenheit zur Natur verwurzelt. Die Texte sind in einer Frühform der althochdeutschen Sprache verfasst und wurden von Grimwald bewusst nicht ins heutige Hochdeutsch übersetzt, um dem Horer genügend Freiraum für das hier zu hörende Klangerlebnis zu gewähren. Grimwald selbst bezeichnet Wintarnaht als „archaischen Black Metal“, welcher atheistisch geprägt ist und darüber hinaus vollkommen ohne dogmatische Restriktionen auskommt.

Erwähnt werden muss natürlich auch noch das der Kassettenversion beigefügte Zusatzlied „The Lost Spirit“. Dieses Stück stammt von 1998 und mutet vom Klang her sehr rau an. Trotz des nicht zu überhörenden Proberaumklangs ist es gut anhörbar. Erinnerungen an Burzum werden ein ums andere Male geweckt.

Dieses Werk ist ein durch und durch lohnenswertes Hörerlebnis, welches mit jedem Hördurchlauf wächst und wächst. Erhältlich ist die auf 300 Stück limitierte Digipack-CD per E-Post über wintarnaht@gmx.de oder über die Telegrampräsenz von Archaic Oath, sowie über Discogs. Die auf 35 Stück begrenzte Box samt Kassette und die weiteren 15 Kassetten dürften mittlerweile ausverkauft sein.


𝕸𝖚𝖘𝖎𝖐𝖆𝖑𝖎𝖘𝖈𝖍𝖊𝖗 𝕰𝖎𝖓𝖇𝖑𝖎𝖈𝖐:


𝕽𝖊𝖟𝖊𝖓𝖘𝖎𝖔𝖓: 𝕭𝖗𝖆𝖌𝖎 (𝕲𝖆𝖘𝖙𝖘𝖈𝖍𝖗𝖊𝖎𝖇𝖊𝖗) – 𝕲.𝕺.𝕾.𝕭. 𝟐𝟎𝟐𝟑